Willa Cather (1873 – 1947) ist hierzulande nur wenigen ein Begriff. Sie gehört zu den fast vergessenen Autorinnen des 19./20. Jahrhunderts. Zu ihrem 150. Geburtstag wurden erfreulicherweise einige ihrer Werke dem deutschen Publikum neu zugänglich gemacht. Die Andere Bibliothek hat mit diesem Band sogar eine Schmuckausgabe herausgebracht, die acht sehr stimmungsvolle, überwiegend erstmalig übersetzte, Erzählungen Cathers enthält. Agnes Krup hat sie nicht nur wunderbar übersetzt, sondern auch ein umfangreiches Nachwort über Leben und Werk der Autorin hinzugefügt.
Willa Cather widmet sich mit Vorliebe ihren am Rand der Gesellschaft stehenden Zeitgenossen. Das müssen keine Außenseiter sein. Ihre Protagonisten haben unübliche Interessen, sträuben sich dagegen, den Konventionen zu entsprechen oder vorgezeichnete Wege zu gehen. Sie sind Künstler oder träumen von einem völlig anderen Leben. Dabei zeigt die Autorin ihre Figuren in aller Vielschichtigkeit und Ambivalenz. Sie muss eine hervorragende Beobachterin gewesen sein. Cather verurteilt niemanden, sondern schildert und beschreibt mit Hingabe und Feingefühl, so dass wir jede einzelne Figur sehr gut kennenlernen dürfen. Besonders bewegend in diesem Zusammenhang ist die Erzählung „Ein Wagner-Konzert“, in dem der Erzähler seine alte Tante ins Theater einlädt. Hintergrund: Die Tante war einst Pianistin aus gutem Hause, den schönen Künsten zugeneigt. Aus freien Stücken entschied sie sich jedoch zur Heirat mit einem Farmer, dem sie in ein weit abgelegenes, arbeitsreiches und freudloses Leben folgte. Zunächst scheint die Musik (eines von Cathers wiederkehrenden Themen) die alte Dame nicht zu erreichen, doch im Verlauf des Abends ändert es sich.
In „Schon bald: Aphrodite“ gerät ein eremitischer, bescheidener Kunstmaler in den Fokus, der seiner neuen Nachbarin nach anfänglicher Abneigung immer stärkeres Interesse entgegenbringt. Diese wiederum fühlt sich eher von der Welt des schönen Scheins angezogen. Es macht Freude, diese beiden grundverschiedenen Menschen eine Weile zu begleiten, ihre Missverständnisse und ihre Annäherung zu beobachten.
Gern schwelgen Cathers Erzähler auch in Erinnerungen an besondere Ereignisse ihrer Jugend, die überwiegend in der Prärielandschaft Nebraskas angesiedelt sind. Ehemalige Idole verblassen im Licht der Gegenwart, nicht jeder Kamerad mit vermeintlich großen Erwartungen hat sich diese im Verlauf des Lebens auch erfüllen können. Der Zauber der Vergangenheit schwingt stets mit leichter Melancholie mit.
Die Liebe zur Heimat kann man aus allen Erzählungen herauslesen. Cather beleuchtet alle Schauplätze detailliert, vom ersten Satz an folgt man gefesselt ihren Worten, die das Leben wie die Landschaft anschaulich vorstellen. Die Sprache ist verständlich und klar, sie hält dazu zahlreiche stilistische Schönheiten bereit. Daneben geht es meist um Träume, Sehnsüchte, Liebe und Hoffnungen der Hauptfiguren. Reine Glückseligkeit findet man in Cathers Erzählungen nicht. Sie versteht es aber, scheinbar Alltägliches literarisch versiert und ansprechend zu präsentieren. Sie erzählt bewusst nicht alles aus, sondern lässt dem Leser Leerstellen für eigene Gedanken.
Wie man dem Nachwort entnehmen kann, war Willa Cather eine freiheitsliebende, emanzipierte und engagierte Frau, die sich nicht in einem gesellschaftlichen Korsett einfangen ließ. Das wird auch in ihrem Schreiben deutlich.
Große Leseempfehlung für diesen liebevoll gestalteten Erzählband der Anderen Bibliothek! Ich bleibe dieser ausdrucksstarken Autorin definitiv auf den Fersen.